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it-themen:allgemein:dunning_kruger-effekt

**Dies ist eine alte Version des Dokuments!**

Dunning–Kruger-Effekt – verständlich & praxisnah

Kurzfassung: Menschen mit geringem Können überschätzen sich oft stark, weil ihnen die Fähigkeit fehlt, die eigene Inkompetenz korrekt einzuschätzen. Mit wachsender Erfahrung fällt das Selbstvertrauen zunächst (man erkennt die Komplexität) und steigt später wieder – dann realistischer.

Was ist der Dunning–Kruger-Effekt?

Der Dunning–Kruger-Effekt beschreibt eine systematische Fehleinschätzung der eigenen Leistung: Anfänger überschätzen sich, Fortgeschrittene werden realistischer, Profis bleiben wachsam.1)

So sieht die Kurve aus (vereinfacht)

Selbstvertrauen
^         /\   "Gipfel der Ahnungslosigkeit"
|        /  
|       /    \     "Tal der ErnĂĽchterung"
|      /      \   /
|     /        \ /     "Plateau der Kompetenz"
+----/----------/------------------------------> Kompetenz/Erfahrung 

Warum passiert das? (Ursachen)

  • Fehlende Metakognition – man kann die eigene Leistung nicht gut beurteilen.
  • Illusion der Erklärungstiefe – man glaubt, etwas verstanden zu haben, bis man es erklären/umsetzen muss.
  • Selektive Wahrnehmung & Bestätigungsfehler – Erfolge bleiben hängen, Fehler werden ĂĽbersehen.
  • Geringe RĂĽckmeldung – ohne Tests, Benchmarks, Reviews fehlt Korrektur.
  • Domänenspezifisch – Kompetenz in A ĂĽberträgt sich nicht automatisch auf B.

Häufige Missverständnisse (Abgrenzung)

  • Nicht „dumm vs. schlau“ – es geht um Kalibrierung der Selbsteinschätzung.
  • Kein Dauerzustand – Training & Feedback verschieben die Einschätzung.
  • Impostor-Syndrom ≠ Dunning–Kruger – bei Impostor unterschätzen Gute sich.

Praxisbeispiele

IT (Scripting): Erstes Bash-Script klappt → „Easy!“ → Edge-Cases, Fehlerbehandlung, Sicherheit zeigen: Es ist nicht trivial → realistischere Selbsteinschätzung. Handwerk/Elektro: Erste sauber verdrahtete Unterverteilung → „Hab’s drauf!“ → Selektivität, Normen, Lastverteilung, Messprotokolle → Komplexität wird sichtbar. Fahren/Projektleitung: Anfangsgefühl „läuft“ → dann erste kritische Situationen/Abhängigkeiten → gezieltes Üben und Checklisten.

Signale & Gegenmittel (schnelle Orientierung)

Signal Mögliche Ursache Konkretes Gegenmittel
Absolute Sätze („kann gar nicht schiefgehen“) Übervertrauen Messbar machen: Tests, Benchmarks, KPIs
„Fragen? – Keine.“ Fehlende Metakognition Review erzwingen: 4-Augen-Prinzip, Pairing
„Hab ich schon x-mal gemacht.“ Verfügbarkeits-Bias Checkliste (No-Skip), Abnahmepunkte
„Alle anderen sind langsam.“ Selbstüberschätzung Vergleichsdaten: Speed vs. Qualität/Fehlerquote
„Fehler war Zufall.“ Fehlattribution Postmortem mit Ursachenanalyse & Aktionselementen

Konkrete Maßnahmen – für Personen, Teams, Organisation

Individuell

  • Externe Checks nutzen: Code-Review, Peer-Review, Mentoring.
  • Explizite Annahmen notieren: Hypothese, Risiko, Gegenbeleg.
  • Fehlerjournal fĂĽhren: was, warum, wie behoben, Prävention.
  • Lehrtests: Kurz-Quiz, Mini-Katas, „Explain like I’m 5“.

Team/Leitung

  • Definition of Done (DoD) inkl. Tests/Abnahme.
  • Standardisierte Checklisten (kein „Shortcut“).
  • Kalibrier-Runden: Prognose vs. Ergebnis vergleichen.
  • Psychologische Sicherheit: Fehler melden lohnt sich.

Organisation

  • Metriken: Fehlerrate, Mean Time to Recovery, Review-Abdeckung.
  • Trainingspfade: vom „Gipfel der Ahnungslosigkeit“ ins Plateau der Kompetenz (Praxis + Feedback).
  • Lessons Learned als Wissensbasis (Wiki, Patterns, Anti-Patterns).

Mini-Werkzeuge (sofort anwendbar)

  • Vor Start: „Was könnte schiefgehen? Woran merken wir’s frĂĽh?“
  • Währenddessen: WIP-Limits, kleines Inkrement + Test.
  • Nachher: 15-Min-Retro: Fakt → Ursache → MaĂźnahme (Owner, Termin).
  • Erklärt-es-mir-Test: Aufgabe in 60 Sek. fĂĽr Laien erklärbar? Wenn nein: weiter zerlegen.

FAQ

Trifft das auch Profis? – Ja. In neuen Domänen sind Profis oft wieder Anfänger. Kann man den Effekt messen? – Indirekt, über Kalibrierung: Vorhersage vs. realer Score (z. B. Tests, Brier-Score in Prüfungen/Schätzungen). Ist viel Selbstvertrauen schlecht? – Nein. Es braucht kalibriertes Selbstvertrauen + Belege.

Merksätze (einprägsam)

  • Sicher klingt nicht automatisch richtig.
  • Wer wenig weiĂź, ĂĽberschätzt oft; wer mehr weiĂź, prĂĽft öfter.
  • Kompetenz zeigt sich in Tests – nicht im Tonfall.
  • FrĂĽhe Zweifel sparen späte Katastrophen.
  • Beleg schlägt BauchgefĂĽhl.
  • Annäherung an die Wahrheit = Messen + Feedback + Ăśben.
  • Gute Leute stellen viele Fragen – frĂĽh.
  • Checklisten sind Demut in Listenform.

Kurz-Vorlage: 5-Min-Kalibrierung vor einem Vorhaben

  • Ziel (1 Satz): …
  • Kritische Annahmen (max. 3): …
  • FrĂĽhe Indikatoren fĂĽr „falsch“: …
  • Minimaler Test/Proof (heute): …
  • Review-Partner + Zeitpunkt: …

WeiterfĂĽhrend

2) 3)


Pragmatische Schlussnote: Wer systematisch misst, Feedback einholt und Checklisten nutzt, verlässt den „Gipfel der Ahnungslosigkeit“ schneller und landet nachhaltiger auf dem Plateau der Kompetenz.

1)
Begriff nach Justin Kruger & David Dunning, 1999.
2)
Kruger, J.; Dunning, D. (1999): „Unskilled and Unaware of It“. Journal of Personality and Social Psychology.
3)
Stichwort: Metakognition, Illusion der Erklärungstiefe, Confirmation Bias.
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